Unter dem Begriff Protoevangelium verstehen wir heute zwei unterschiedliche Schriften. Zum einen die Weissagung bereits in Genesis 3,15. Zum anderen eine apokryphe Schrift aus dem 2. Jahrhundert nach Christus, die unter dem Namen Protoevangelium des Jakobus bekannt ist.
Nachdem die Schlange im Garten Eden Adam und Eva verführt hat, steht die rätselhafte Weissagung in Gen 3,15 inmitten des göttlichen Urteils direkt nach dem Sündenfall.
„Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinem Nachwuchs und ihrem Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse.“
Wer ist nun diese Schlange, zwischen der und Eva Gott die Feindschaft gesetzt hat? Bestimmt nicht nur ein Symbol menschlicher Begierden und Neigungen. In orientalischen Mythen wird die Schlange oft als das Böse schlechthin bezeichnet. In der Bibel stellen verschiedene Texte sie als den Feind Gottes dar, ein dämonisches Tier oder Satan selbst. Mit dem Nachwuchs der Frau, also Eva, kann nur die Menschheit an sich gemeint sein. Es besteht also eine ewige Feindschaft zwischen dem Bösen und der Menschheit. Hiernach wird das Böse immer wieder in verschiedenen Erscheinungsformen zu Tage treten, unter denen die Menschheit zu leiden hat. Das Wort Protoevangelium besteht zusammengesetzt aus dem griechischen Begriff protos – erster und euangelion – Frohbotschaft. Die tatsächlich erste Frohe Botschaft der Bibel steckt also bereits hier in der Genesis, nach der die Menschheit am Ende über das Böse siegen wird.
Haben die Kirchenväter bis zum 7. Jahrhundert nach Christus diesen Text nicht direkt auf Jesus bezogen, können wir uns heute sicher sein. Der Sieg der Menschheit über das Böse wurde in Jesus Christus bereits verwirklicht. Nach der Demütigung und Erniedrigung Adams hat Christus für uns diesen Sieg errungen und am Kreuz über das Böse triumphiert. Von Eva, der Mutter der Menschheit bis zu Maria, der Mutter Christi spannt sich also der Bogen zwischen Sieg und Niederlage. Daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn Maria, der Mutter Jesu, eine so bedeutende Rolle im Christentum zugeschrieben wird. Ihr Nachwuchs Jesus Christus hat die Verheißung in der Genesis erfüllt.
Das Protoevangelium nach Jakobus
Um diese besondere Stellung Marias hervorzuheben und auf Jesus Christus hinzuweisen, entstand im 2. Jahrhundert nach Christus das Protoevangelium des Jakobus. Darin geht es in erster Linie um die Herkunft Marias, ihre Verbindung zu dem damals deutlich älteren Josef und die frühesten Kindheitstage Jesu. Zwar kann diese apokryphe Schrift für uns Christen nicht Maß der Dinge sein. In der Liturgie einiger Ostkirchen wird sie dennoch mit vorgetragen, denn sie klärt aufkommende Fragen, die in den vier Evangelien nicht besprochen werden.